Zum 100. Jahrestag der Eröffnung der Darmstädter Bücherstube am 1. April

(fre, dk)

Wissenschaftsstadt Darmstadt gedenkt Alfred Bodenheimer

Alfred Bodenheimers Bücherstube in den 1920er Jahren. Quelle: Wissenschaftsstadt Darmstadt

Am 1. April vor 100 Jahren rief Alfred Bodenheimer (1898-1966) in Darmstadt die Bücherstube in der Rheinstraße 24 / Ecke Saalbaustraße ins Leben. Zum 100. Jahrestag der Gründung hat Oberbürgermeister und Kulturdezernent Hanno Benz nun die Bücherstube gewürdigt. „Alfred Bodenheimer betrieb in den 1920er und frühen 1930er Jahren bis zur NS-Diktatur eine Buchhandlung der anderen Art, die ihrer Zeit weit voraus war. Rasch avancierte sie zu einem kulturellen Anziehungspunkt der Literatur-, Kunst- und Musik-Szene der Stadt. Alfred Bodenheimer hat damit einen wertvollen Beitrag zum Literatur- und Kultur-Leben unserer Stadt geleistet“, erläutert der Oberbürgermeister.

Bodenheimer machte durch Literaturlesungen mit prominenten Persönlichkeiten von sich reden – so las Arnold Zweig in der „Traube“ am Luisenplatz, der Bodenheimer-Freund Kurt Tucholsky im Saalbau.

Außerdem standen Kunstausstellungen mit den Werken von Käthe Kollwitz, Picasso, Vlaminck auf dem Programm, kleine Konzerte und Kammermusik-Abende. Das Besondere der Bücherstube: Es bestand kein Kaufzwang, es gab rot lackierte Sessel und rote Bücherregale, man bekam Tee gereicht – und konnte nach Herzenslust in den Büchern schmökern.

Mit Beginn der NS-Diktatur – von den Bücherverbrennungen 1933 und der wachsenden, organisierten Judenverfolgung, wurde die Lage immer prekärer: Dennoch galt die Bücherstube in der Frühphase des NS-Regimes als heimlicher Treffpunkt widerständiger Freigeister. Doch von 1935 an zwang man den gebürtigen Darmstädter jüdischen Glaubens Alfred Bodenheimer, seine Bücherstube aufzugeben. Es gelang ihm, sein Lebenswerk schweren Herzens an das Berliner Buchhändler Ehepaar Robert und Marianne d'Hooge zu übergeben, die das Geschäft vom 31. Oktober 1937 an fortführten.

Im Zuge der Darmstädter Novemberpogrome 1938 gehörte Alfred Bodenheimer zu jenen 169 Darmstädtern jüdischen Glaubens, die ins Todeslager Buchenwald verschleppt und dort schwer misshandelt wurden. Er überlebte, floh nach seiner Entlassung aus der Lagerhaft, gewaltsam aus seiner deutschen Heimat vertrieben, ins erzwungene englische, später US-amerikanische Exil. Der Kulturintellektuelle Bodenheimer musste sich in Baltimore (USA) als Bürstenverkäufer durchschlagen, erst ganz zuletzt wurde er Angestellter in einer Bibliothek. Er starb in seiner unfreiwilligen, zweiten Heimat Baltimore verbittert, vergessen und vereinsamt an einem langjährigen Herzleiden im Alter von nur 68 Jahren am 24. August 1966. Bodenheimer gehörte zu jenen deutsch-jüdischen Heimatvertriebenen, die an Heimweh und den Härten des fremden Exils zerbrachen.

Alfred Bodenheimer, der am 23. März 1898 in Darmstadt zur Welt kam, stammte aus einer angesehenen deutsch-jüdischen Kaufmanns- und Arztfamilie. Alfred Bodenheimer war Soldat im Ersten Weltkrieg, erhielt für seine Tapferkeit das Eiserne Kreuz. Nach Kriegsende widmete er sein Leben der Literatur, der Kultur, dem Theater und der Musik, pflegte enge Freundschaften mit Schauspielgrößen wie Bernhard Minetti und Werner Hinz. In der Brandnacht 1944 fiel die Bücherstube in der Rheinstraße dem Bomben-Inferno zum Opfer, nach 1945 zogen die d’Hooges mit dem Buchladen nach einigen Notunterkünften 1951 als „Darmstädter Bücherstube Marianne d’Hooge“ an den Friedensplatz. Das 1968 von Hans-Dietrich zur Megede und 1990 Jeanette Seitz weitergeführte Geschäft schloss seine Tore für immer 1999.

Heute erinnert in der Saalbaustraße eine Gedenktafel an Alfred Bodenheimer und dessen alte Bücherstube, die Darmstädter Kultur- und Literaturgeschichte schrieb.