Rund 45 000 Patientinnen und Patienten wurden im vergangenen Jahr in der Notaufnahme des Klinikums Darmstadt behandelt. Tendenz steigend.
Immer weniger Hausärzte, eine immer schlechter werdende Gesundheitskompetenz der Menschen und eine zunehmende Anzahl an älteren Bürgerinnen und Bürgern sind einige der vielen Gründe, die Dr. Peter-Friederich Petersen, Leiter der Zentralen Notaufnahme (ZNA) am Klinikum und seine Stellvertreterin, Dr. Christine Hidas dafür sehen. „Den Menschen fällt es zunehmend schwerer, realistisch einzuschätzen, welche Versorgung sie brauchen“, so Dr. Peter-Friederich Petersen. Rückenschmerzen, die seit Wochen andauern, Erkältungen oder Kopfschmerzen seien immer wieder Gründe mit denen die Menschen in die Notaufnahme kämen, was für sie zu langen Wartezeiten und damit zu Verdruss führe. „Wir behandeln zuerst die Menschen, die lebensbedrohlich erkrankt sind, der Rest muss warten“, erklärt Dr. Hidas.
Gegen überfüllte Notaufnahmen, insbesondere am Wochenende, soll die Reform der Notfallversorgung helfen, die die Bundesregierung derzeit plant. Künftig sollen sich Patient*innen in Akutleitstellen melden, wenn sie einen Notfall haben. Unter der 116 117 soll eine Ersteinschätzung gemacht werden und die Patientin oder der Patient zum weiteren Vorgehen beraten werden. Stellt sich der Fall als Notfall heraus, soll sofort an die 112 weitergeleitet werden.
Auch das Leitungsteam der Darmstädter ZNA spricht sich für eine telefonische Vorselektion aus: „Die Menschen haben ein Problem und sie brauchen eine fachkundige Beratung, die sie in die richtige Versorgungsstufe schickt. Was wir aber nicht brauchen, ist eine weitere Entscheidungsebene, da wir dafür das medizinische Personal überhaupt nicht haben“, sagt Dr. Christine Hidas. „Was wir aber auch wieder vermehrt brauchen ist Gesundheitskompetenz. Es kommen Patientinnen und Patienten hierher, die haben noch nicht einmal Schmerzmittel zu Hause und sind völlig hilflos, wie sie sich selbst helfen können“, ergänzt sie.
Ein Konzept, das in diese Richtung geht, wird am Klinikum Darmstadt bereits praktiziert – der „Gemeinsame Tresen“ mit dem Ärztlichen Bereitschafsdienst (ÄBD). Zu den Öffnungszeiten des ÄBD (Montag, Dienstag, Donnerstag von 19 bis 7 Uhr, Mittwoch und Freitag 14 bis 7 Uhr und an Wochenenden sowie an Feiertagen von 7 bis 7 Uhr) melden Patient*innen, die fußläufig kommen, sich zuerst dort. Nach einer ersten Beurteilung entscheidet das medizinische Personal des ÄBD, ob sie weiter dort behandelt werden, oder in der ZNA aufgenommen werden.
Unter der Woche sind im ÄBD regulär zwei Ärzt*innen im Dienst, an den Wochenenden sind es vier bis fünf Ärzt*innen, die jeweils noch den Hausbesuchsdienst mitabdecken. Außerhalb von Brücken-/Feiertagswochen werden seit dem Umzug im Februar dieses Jahres im Schnitt 824 Patient*innen pro Woche im ÄBD behandelt. Im identischen Vorjahreszeitraum lag die durchschnittliche Patientenzahl pro Woche noch bei 639. Das ist ein Anstieg von knapp 30 Prozent, so die Zahlen der Kassenärztliche Vereinigung Hessen.
„Die Kolleginnen und Kollegen des ÄBD nutzen unser Labor und unsere Röntgenabteilung und wenn beispielsweise beim Röntgen gesehen wird, dass es sich um einen Bruch handelt, geht der Patient danach gleich in die Zentrale Notaufnahme“, erklärtdie Leitende Oberärztin.
Ab Oktober sollen die Mitarbeitenden am Empfangstresen von einer speziellen Software bei der Entscheidungsfindung unterstützt werden, wo der Patient versorgt werden muss.
„Man muss aber auch klar sagen, dass viele Probleme einfach im System liegen. Man kann die Hausärzte nicht in Regress nehmen, wenn sie zu viele Patientinnen und Patienten behandeln oder zu ambulanter Diagnostik schicken und gleichzeitig sagen, die Hausärzte sollen im ambulanten Bereich mehr abfangen, um die Kliniken zu entlasten. Das funktioniert nicht“, sagt Dr. Peter-Friedrich Petersen. Aus diesem Grund sind die Beteiligten froh darüber, in Darmstadt einen Weg gefunden zu haben, der die Patient*innen bedarfsgerecht steuert.
Infokasten: Was ist ein Notfall?
Ein medizinischer Notfall, der eine sofortige Behandlung erfordert, besteht etwa bei
• starker Atemnot
• Bewusstlosigkeit
• stark blutende Wunden
• Herzbeschwerden
• Verdacht auf Schlaganfall
• Lähmungserscheinungen
• Schwangerschaftskomplikationen
• Vergiftungen
• starken Schmerzen
• schweren Verletzungen und Knochenbrüche