Chesterfield − #DerbyshireSpirit: separate together

Reihe. Die Krise, die vereint: Retrospektiver Blick in einige unserer Partnerstädte. Chesterfield in Großbritannien hat seine Stadtverwaltung früh an die veränderte Situation angepasst und auch die Bürgerinnen und Bürger setzen sich für Menschen in Not ein.

Dieser Bericht wurde im Mai erstellt und die Lage und Fallzahlen bezüglich der Covid-19-Pandemie haben sich in der beschriebenen Stadt oder dem Land möglicherweise verändert. Daher ist der folgende Artikel nur als Momentaufnahme zu betrachten.

Im Januar 2020 gingen die Menschen in Großbritannien, wie in ganz Europa, ihrer täglichen Routine nach, nicht ahnend, dass die Rückkehr einer Person von einer Dienstreise aus Wuhan in der Vorweihnachtszeit des vorigen Jahres die ganze Insel in den Ausnahmezustand versetzen wird. Höchstens war der Brexit damals ein Thema außergewöhnlicher Relevanz, aber auch der Brexit gehörte für die Menschen irgendwie zur Routine. Doch die Geschwindigkeit dessen, was auf der Insel auf der anderen Seite des Ärmelkanals danach geschah, lässt sich mit dem gemütlichen Geist der Briten schwer vereinbaren.

Von der Öffentlichkeit unbemerkt tauchten Mitte Januar mit den inzwischen in jedem Winkel der Erdkugel bekannten Symptomen des Coronavirus die ersten Infektionsfälle bei den Mitgliedern eines Chors in Bradford auf. Noch am 3. März 2020 kommunizierte Premierminister Boris Johnson in einer Pressekonferenz seine Sicht der Lage: „Ich schüttle ständig Hände. Ich war neulich in einem Krankenhaus, wo ich glaube, dass es tatsächlich ein paar Coronavirus-Patienten gab, und ich habe allen die Hand geschüttelt, das können alle wissen.“

Zehn Tage später erklärte er für das Vereinigte Königreich, dass es zunächst keine umfassenderen Quarantänemaßnahmen und keine Einschränkungen für Großveranstaltungen geben werden. Dafür müsse sich die Bevölkerung darauf einstellen, „dass noch viel mehr Familien geliebte Angehörige vorzeitig verlieren werden“, so der Premierminister. Daher verfolge man die Strategie, die Epidemie so zu steuern, dass die Bevölkerung durch die Krankheit geschleust werde, um Immunität aufzubauen, ohne dass das Gesundheitssystem zusammenbreche. Nur wenige Stunden später gab die Regierung bekannt, dass Großveranstaltungen abgesagt werden würden.

Eine halbe Millionen freiwillige Helfer

Mit 21 Todesfällen lag Großbritannien am 15. März 2020 nach Italien, Spanien und Frankreich in Europa an vierter Stelle, obwohl deutlich weniger infizierte Personen bei Tests gemeldet wurden als in diesen drei Ländern. Nach Ansicht der Luzerner Zeitung war in Großbritannien bis dahin kaum getestet worden. Daher hatte die Epidemie ein großes Ausmaß genommen, ehe die Tests begannen. Am 19. März meldete die Johns Hopkins University 108 Tote für Großbritannien. Schlag auf Schlag wurden danach Quarantäne, Schließung von Schulen und U-Bahn-Stationen, Verbot der Versammlungen von mehr als zwei Personen und auch die gefürchtete Ausgangssperre zur neuen Lebenswirklichkeit. Am Sonntag, dem 5. April, hielt Königin Elisabeth II. zum vierten Mal in ihrer bis dahin 68-jährigen Amtszeit eine Rede an die Nation und rief die Bürger dazu auf, sich an die Ausgangsbeschränkungen zu halten.

In Krisenzeiten halten die Briten immer zusammen. An dem Tag Ende März, an dem Premierminister Johnson seine Infektion mit dem Virus bekannt gemacht hatte,  waren mehr als 500.000 Freiwillige als Helfer für den staatlichen Gesundheitsdienst gemeldet. Und bei dem Ausmaß der Gesundheitskrise in Großbritannien mit 223 463 Infizierten und 32 065 Todesfällen bis Anfang Mai wurde jeder einzelne von ihnen dringend gebraucht.

Einrichtung einer Helfer-Hotline

Chesterfield gehört mit 179 Infizierten bis Mitte Mai zu den von der Pandemie am wenigsten betroffenen Städte Großbritanniens. Dennoch haben die Stadt und die Menschen dort die ungewöhnliche Situation in aller Ernsthaftigkeit angenommen und damit selbst dazu beigetragen, dass es zu dieser Performance bleibt.

Noch während des Taktierens der Regierung in London hat der Chesterfield Borough Council den Beschluss gefasst, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung umverteilt werden, um die Stadtgemeinschaft zu unterstützen und die Versorgung der wichtigsten Dienstleistungen sicherzustellen. Hierfür spielte die Careline – ein kostenpflichtiges Serviceangebot der Stadtverwaltung Chesterfield rund um die Aufrechterhaltung unabhängigen Lebens für ältere und gefährdete Bürgerinnen und Bürger – eine enorme Rolle: Während des Ausbruchs des Coronavirus konnten mit Careline über 4.000 Menschen unterstützt werden. Stadtrat Chris Ludlow, Kabinettsmitglied für Wohnungswesen, lobte dieses Engagement: „Während des gesamten Ausbruchs des Coronavirus hat sich der Careline-Service als noch wichtiger als sonst erwiesen, da er dazu beigetragen hat, den Druck auf die Notfalldienste in dieser schwierigen Zeit zu verringern und den am stärksten gefährdeten Menschen und ihren Familien Sicherheit zu geben.“

Regenbogen-Fenster als Symbol der Hoffnung

Der Bevölkerung auch in Umbruchszeiten des sogenannten „new normal“ Sicherheit und Stabilität zu geben, war dem amtierenden 379. Bürgermeister Gordon Simmons äußerst wichtig. Von der Grundversorgung über Dienstleistungen und Services bis hin zu neuen Businessmodellen vor allem in virtuellem Format wurde alles dafür getan. Sogar die seit 1598 bestehende Tradition der feierlichen Amtseinführung des neuen Bürgermeisters von Chesterfield wurde abgesagt und die für den 13. Mai geplante Zeremonie auf einen späteren Termin verlegt. Die Fürsorge kam bei rund 71.000 Einwohnerinnen und Einwohner Chesterfields an und stimmt nicht nur den Stadtrat, sondern auch den Menschen Howard Borrell optimistisch, wenn er über die Erfahrungen der letzten drei Monate nachdenkt:

Trotz der vielen negativen Aspekte der Pandemie hätte sie in Chesterfield auch die eine oder andere positive Auswirkung hervorgerufen: Viele Menschen hätten sich in Hilfegruppen organisiert und beispielhaft Unterstützung für Menschen in Not gezeigt. Andere wiederum haben eben diese Hilfe und Solidarität erfahren. Obdachlosen Menschen wurden Unterkünfte vermittelt, ein lokales Unternehmen spendete ihnen warme Mahlzeiten und Privatpersonen Pflegeprodukte. Food Bank oder zu Deutsch die Institution „Tafel“ bekam zusätzliche Finanzmittel und Geldspenden, damit niemand hungern musste, städtische Bedienstete und Freiwillige haben tatkräftig unterstützt. Kein Wunder, dass ein Regenbogen in den Fenstern vieler Häuser in Chesterfield zu sehen ist – als ein Symbol, das geholfen hat, vielen Menschen wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Neue Wege und bessere Kochkünste

Privat hat die begrenzte Bewegungsfreiheit über die sieben Wochen der Ausgangsperre Howard Borrell und seiner Frau neue Lebenserfahrungen ermöglicht und ließ ihnen neue Vorlieben entdecken. Sportliche Bewegung als triftiger Grund, das Haus zu verlassen, wurde auf einmal zum wichtigsten Tagesereignis und ist für ihn jetzt ein viel wünschenswerterer Zeitvertreib geworden als früher. Neue und interessante Spazierwege in der Nähe seines Hauses wären für ihn früher unentdeckt geblieben, und der Tag seiner Frau würde jetzt immer mit einer Übungsstunde auf YouTube beginnen. Eine Folge der Schließung aller Restaurants dürfte die Verbesserung der Kochkünste vieler Menschen sein; seine sollen sich jedenfalls auf ein ausreichendes Niveau verbessert haben, scherzt der routinierte Politiker. Nur eines bedauert Howard Borrell zutiefst: den Ausfall aller Fußballspiele in Chesterfield. Für ihn aber ein ausreichender Grund, die Lilien im Kampf gegen die Karlsruher zu unterstützen.