Brescia − „Ich hoffe, dass diese Solidarität auch nach dem Coronavirus weiter besteht“

Reihe. Die Krise, die vereint: Retrospektiver Blick in einige unserer Partnerstädte. Die Darmstädter Architektin Valentina Guizzetti im Interview über die Lage in ihrer Heimatregion Brescia, den Kontakt zu ihren Verwandten und was sie Positives aus der Krise mitnimmt.

Das nachfolgende Interview wurde frei aus dem italienischen übersetzt.

Du warst noch bis Ende Februar in Brescia – wie hast du die Entwicklung der Covid-19-Pandemie erlebt?

Bereits im Dezember gab es die ersten Hinweise auf ein Virus in Wuhan. Alle glaubten jedoch, dass das Virus nicht nach Italien kommen würde. Dann im Februar musste ich aber wegen des Virus nach Deutschland zurück, da dort mein Hauptwohnsitz ist. Für mich war die Situation schwierig, denn ich wäre gerne noch länger bei meiner Familie in Italien geblieben. Bereits Ende Februar bestand die große Gefahr, dass die Grenzen zugemacht werden. Ich ließ meine Eltern, die über 60 Jahre alt sind, alleine. Für mich ist diese Situation besorgniserregend. Ich habe leider wegen dieses Virus geliebte Menschen verloren, die so alt sind wie meine Eltern, sodass die Sorge immer größer wurde. Als ich dann Ende Februar nach Deutschland zurückkehrte, fühlte ich mich außerdem in gewisser Weise diskriminiert.

Was ist passiert?

Vor meiner Rückkehr zur Arbeit hatte ich beschlossen, mich selbst in eine 15-tägige Quarantäne zuhause zu begeben. Als eine Kollegin hörte, dass ich, nachdem ich in Italien gewesen war, wieder zur Arbeit zurückkam, fühlte sie sich durch meine Anwesenheit einer Gefahr ausgesetzt und wollte veranlassen, dass ich ins Home-Office gehe. Es ist schlimm, dass man Angst vor mir hatte, nur weil ich in unserem wunderschönen Land Italien war. Ich hoffe aufrichtig, dass diese Krise bald zu Ende geht und unsere deutschen, niederländischen, österreichischen und anderen Freunde so bald wie möglich wieder an den Iseosee fahren können, um die Schönheit unseres Landes zu genießen.

Wie hältst du Kontakt zu deinen Verwandten?

Mit meiner Familie bleibe ich über Whatsapp und Videotelefonie in Verbindung – aber das war vor dem Virus schon so. Ich habe meine Kontakte aber drastisch reduziert und kommuniziere nur mit Menschen, die mir wirklich nahe stehen. Eltern, eine Tante und mein Bruder. Nur die engsten Verwandten eben. Man unterhält nur die sogenannten "echten Kontakte", diejenigen, die am meisten zählen – also vor allem die Familie. Die wenigen Freunde sind tatsächlich zweitrangig geworden.

Wie beschäftigen sich die Menschen in Brescia zuhause?

Meine Familie hat zuhause immer etwas zu tun. Wer außerhalb der Stadt wohnt, hat meistens ein Grundstück und somit einen Gemüsegarten und Pflanzen zu pflegen. Man putzt die Wohnung, kocht, denkt sich kleine Arbeiten oder ein kreatives Hobby aus.

Gibt es auch etwas Positives, dass du dieser Krise abgewinnen kannst?

Positiv ist sicherlich, dass alle mehr Verantwortung übernehmen. Alle passen mehr aufeinander und auf sich selbst auf. Man hilft sich gegenseitig mehr und ich hoffe, dass diese Solidarität auch nach dem Corona-Virus weiter besteht.

Seit dem 4. Mai werden in Italien die Maßnahmen langsam wieder gelockert. Wie reagieren die Menschen in Brescia darauf?

In der Provinz Brescia, am See, gehen die Leute wieder mehr nach draußen – vielleicht zu viel. Es werden wieder Spaziergänge unternommen und ab heute gibt es in meinem kleinen Dorf auch wieder einen Wochenmarkt – nur auf eine bestimmte Anzahl von Personen beschränkt und nur für Lebensmittel. Die Furcht davor, dass sich die Situation nach dieser Wiedereröffnung in den nächsten Tagen wieder verschlechtern könnte, bleibt bestehen.