„Lily Pringsheim war eine mutige Frau, die den Nazis Paroli bot und sich für soziale Gerechtigkeit, Frauenrechte und kulturelle Bildung für alle stark machte und zu Unrecht in Vergessenheit geriet“

(fre/stip)

Oberbürgermeister Benz würdigt Darmstädter Schriftstellerin, Journalistin, Kultur- und Sozialpolitikerin und Abgeordnete Lily Pringsheim zu deren 70. Todestag

Lily Pringsheim © Hessisches Staatsarchiv Darmstadt

Am 28. September 1954 starb die Schriftstellerin, Journalistin, Politikerin und Abgeordnete Lily Pringsheim im Alter von 67 Jahren in Darmstadt. Anlässlich ihres 70. Todestages sagt Oberbürgermeister Hanno Benz: „Lily Pringsheim gehört zu den zu Unrecht vergessenen, mutigen und widerständigen Darmstädter Frauen, die den Nazis Paroli boten, sich für soziale Gerechtigkeit, Frauenrechte und kulturelle Bildung für alle stark machten.“

Lily Pringsheim, geb. als Louise Chun, wurde am 17. Februar 1887 in Königsberg geboren. 1895 zog ihre Familie nach Breslau, 1899 nach Leipzig. Ihr Großvater mütterlicherseits war der deutsche Zoologe und Geologe Carl Vogt (1817-1895), der im Zuge der Revolution von 1848 Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung war und wegen seiner liberalen Gesinnung ins Schweizer Exil fliehen musste, wo er 1852 eine Professur an der Genfer Universität annahm.

Bereits als 16-jährige galt Lily Pringsheim als Schülerin von „ausgeprägter Eigenwilligkeit“ und musste daher das Lyzeum vorzeitig verlassen. Im März 1907 heiratete sie in Leipzig den Naturwissenschaftler und Pflanzenphysiologen Dr. Ernst Pringsheim junior (1881-1970), der aus der prominenten, gleichnamigen Familie jüdischen Glaubens hervorging. Katia Mann, geb. Pringsheim, die Frau von Thomas Mann, stammte ebenfalls aus diesem Familienzweig. Lily Pringsheim brachte fünf Kinder zur Welt, die Ehe hielt aber nicht lange.

Nach der Novemberrevolution 1918 und seit den frühen 1920er Jahren engagierte sich Lily Pringsheim in der Politik. 1921 trat sie in SPD ein. Nach ihrer Scheidung zog sie 1922 nach Darmstadt, arbeitete als Volkschullehrerin und sorgte schon bald als eine „glänzende, eindrucksvolle und mutige Rednerin“ der Darmstädter und hessischen Sozialdemokratie für Aufsehen. Sie machte sich zudem als Schriftstellerin einen Namen, veröffentlichte Kurzgeschichten, Romane und Theaterkritiken. Zu ihrem engsten Freundeskreis gehörten Theodor Haubach, Wilhelm Leuschner und Carlo Mierendorff.

Als Landtagsabgeordnete engagierte sie sich von Dezember 1931 bis April 1933 in zahlreichen Ausschüssen. Sie widmete sich vor allem der Kultur- und Sozialpolitik. Den Nationalsozialisten hielt sie in der Landtagssitzung vom 28. Juli 1932 vor, sie würden „die parlamentarische und menschliche Würde in den Staub“ treten. Für ihren Kampf gegen die Nationalsozialisten und deren Judenhass erhielt sie Morddrohungen. In ihrem Kampf für Frauenrechte war sie die Erste, die den Antrag auf eine „Milderung der Strafbestimmungen des § 218“ in Hessen unterzeichnete.

Mit Beginn der NS-Diktatur in Hessen war Lily Pringsheims Leben in akuter Gefahr: Nur mit knapper Not entging sie dem Zugriff der Gestapo, floh in letzter Minute zunächst nach Prag, Wien und Brünn, dann nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei 1939 nach London, von dort 1940 weiter nach Lima in Peru und schließlich in die USA. In der Tschechoslowakei setzte sie sich für die Liga für Freiheit und Frieden ein, beherbergte dort den damals noch völlig unbekannten, später weltberühmten französischen Romanautor, Dramatiker und Dichter Jean Genet, der damals als Deserteur und Obdachloser ein unstetes Leben führte, dessen großes literarisches Talent sie dennoch erkannte.

Ihr Sohn Johannes, der ebenfalls ins tschechoslowakische Exil geflohen war, dort im Außenministerium arbeitete und später im Widerstand aktiv war, wurde in Frankreich von der Gestapo gefasst und sollte in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht werden. Er starb bei seinem Versuch, aus dem Deportationszug zu springen. Pringsheims andere Kinder erhielten von den Nationalsozialisten entweder Berufsverbot oder durften nicht weiter studieren. Den Tod ihres Sohnes Johannes verwand sie nie. Ihre beiden anderen Söhne und Töchter überlebten die NS-Verfolgung.

Von 1941 bis 1950 engagierte sich Lily Pringsheim in den USA in der „Social Democratic Federation“ und bei den Quäkern. Auch hier galt sie als gefragte Rednerin. Als sie 1950 nach Darmstadt zurückkehrte, lebte sie verarmt und nahezu vergessen in einer kleinen Dachwohnung am Luisenplatz 4, hielt sich als Rednerin und als Dozentin für Französisch- und Englischkurse an der Volkshochschule Darmstadt über Wasser. Die von ihr angestrebte Rückkehr in die Politik gelang ihr nicht mehr.

Erst 1951 wurde ihr eine karge Entschädigungsrente zugebilligt und erst 1965 wurde sie seitens der Volkshochschule mit einer Gedenkstunde im Justus-Liebig-Haus gewürdigt. Zu ihren Laudatoren gehörte der ehemalige Oberbürgermeister Ludwig Metzger. Seit 2001 erinnert der Lily-Pringsheim-Weg in Kranichstein an sie. Der Nachlass von Lily Pringsheim lagert im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt.

„Lily Pringsheim war eine mutige und wegweisende Persönlichkeit unserer Stadt. Durch ihre Unerschrockenheit und Klugheit ist sie heute mehr denn je ein leuchtendes Vorbild für uns alle“, so Oberbürgermeister Benz abschließend.